Allgegenwart: Wenn das Licht die Dunkelheit verdrängt
Aachen – In genau einem Jahr am 9. Juni 2023 findet die Erhebungsfeier im Aachener Dom statt. Mit ihr startet die Heiligtumsfahrt Aachen. Eine Enthüllung gibt es schon jetzt: das zweite von drei Bildern im Hochaltar der Citykirche. „Allgegenwart“ – so lautet der Titel, denn: Das Leben ist symbolisch geprägt von Licht und Dunkel.
Im alten Motiv des Lichtes für Gott verdrängt er die Dunkelheit und schenkt Kraft zum Leben. „Allgegenwart“ ist das zweite Werk des Künstlers Uwe Appold, der unter dem Titel „Lebenskleider“ zur Heiligtumsfahrt 2023 den Hochaltar in der Citykirche neu gestaltet hat. „Nachdem die Heiligtumsfahrt 2021 um zwei Jahre verschoben wurde, beginnt jetzt eine neue Phase in der Vorbereitung auf den Juni des kommenden Jahres. Wir hoffen, dass wir dann mit weniger Einschränkungen wieder gemeinsam für viele Menschen aus nah und fern die Jahrhunderte alte Tradition aufgreifen können. Wir werden dann auch aktuelle Erfahrungen von Corona, Flutkatastrophe und dem derzeitigen Krieg in Europa thematisieren, schließlich hat sich die Heiligtumsfahrt schon immer auch mit aktuellen Themen der Zeit auseinandergesetzt“, betont Dompropst und Wallfahrtsleiter Rolf-Peter Cremer.
Das Kleid Mariens, die Windel Jesu, das Lendentuch Jesu und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers: Die vier großen Aachener Heiligtümer, die alle sieben Jahre dem Marienschrein entnommen werden, spiegeln verschiedene Abschnitte eines Lebens wider: Geburt, Kindheit, Erwachsenenalter, Tod. Es sind sozusagen „Lebenskleider“. Was die Stoffe heute wertvoll und einmalig macht, ist ihre Bedeutung in einem bestimmten Moment im Leben dieser Menschen. Aus Alltagsgegenständen wurden erzählende Stoffe. Das Domkapitel Aachen freut sich mit dem Künstler Uwe Appold, neue Stoffe ebenfalls eine Geschichte erzählen zu lassen: Sie spielt im barocken Hochaltar der Citykirche. Abraham van Diepenbeeck (1596-1675) malte 1630 Karfreitagsbilder für den dreistufigen Barockaltar in der Citykirche in Aachen. Sylvester 2011 gingen die Bilder bei einem Brand verloren. Uwe Appold hat die Bilder in dem dreistufigen Altar jeweils mit einem eigenen Thema entwickelt.
Das zweite Bild: Allgegenwart
Es zeigt den Blick auf eine perspektivische Wolke und nimmt die Betrachtenden mit auf überhöhtem Standort. Ein starker Hell-Dunkel-Kontrast bestimmt die Komposition, wobei die helle Seite überwiegt. Fünf Strahlen steigen als Licht aus der Wolke fächerförmig empor. Die Zahl 5 steht symbolisch für die fünf Wundmale Christi am Kreuz. Im zweiten Ich-bin-Wort sagte Christus von sich Ich bin das Licht der Welt (Joh 8, 12). Der Künstler Uwe Appold verbindet die Lichtaussage mit dem Gekreuzigten. Die waagerechte Kompositionslinie, die van Diepenbeeck in seine Kreuzabnahme eingearbeitet hatte, greift Appold in seinem Bild auf. Etwa in gleicher Höhe bilden Wolken eine Ebene als Zeichen des Horizonts innerhalb der Lichtstrahlen. Gottes Allgegenwart ist unter und über allen Wolken. „Im Barock stehen Wolken für die Allgegenwart Gottes. Das war mir wichtig, zu zeigen“, erklärt Uwe Appold.
Das erste Bild: Taufe
Das schwebende weiße Taufkleid im unteren Bild erinnert an die Putten im Mittelbild der ursprünglichen Gestalt von van Diepenbeecks Hochaltar. Die Farbe Weiß wird ab dem Zweiten Vatikanischen Konzil als Christusfarbe der Reinheit, Auferstehung und das Lichts gedeutet. Die liturgische Farbe Violett gilt als Farbe der Buße und als Vorbereitung für hohe Feste wie Weihnachten und Ostern. Das Oval ist eine Reminiszenz an das Barock, das diese geometrische Form als Ausdruck der Ausweitung verstand und damit die Kreisform der Renaissance überwinden wollte. Das Taufkleid in der Mitte des Bildes ist kein historisches, sondern ganz neu. Bestellt aus dem Internet, so wie das viele heute vermutlich machen. Dieses neue Taufkleid steht jedem noch zu Taufenden zur Verfügung. Es ist somit auch ein Symbol des Neubeginns, der gerade in diesen Zeiten besonders wichtig ist.
Der Künstler: Uwe Appold
Uwe Appolds künstlerische Laufbahn beginnt 1962 mit einer Lehre zum Bildhauer und 1968 mit dem Abschluss für künstlerische Formgebung und Gestaltung an der Werkkunstschule Flensburg. Seit 1962 stellt der Künstler regelmäßig im In- und Ausland aus. So hatte er Ausstellungen in beinahe allen deutschen Großstädten, sein internationales Betätigungsfeld erstreckt sich auf Belgien, China, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich, Monaco, Niederlande, Polen, Spanien und die Schweiz. Seine Arbeit an den Altarbildern begann Uwe Appold 2020 mit umfangreichen Recherchen zum Werk van Diepenbeecks. Sein Bildprogramm stellt Bezüge zur historischen Malerei her, die der Künstler mit den Intentionen der Heiligtumsfahrt 2023 verbindet.
Das letzte Bild wird im kommenden Jahr enthüllt. So komplettiert sich die Installation bis zu den Wallfahrtstagen. Die drei Bildthemen spannen den Bogen in dem Barockaltar von 1630 über die Gegenwart in die Zukunft. Sie suchen den Dialog mit den Gästen der City-Kirche und den Wallfahrern der Heiligtumsfahrt im Jahr 2023. "Das ist, wie wenn man zu seinem Geburtstag ein Geschenk nicht auspackt und sagt, das lasse ich bis zum nächsten Jahr liegen“, freut sich Uwe Appold auf das kommende Jahr. Die Enthüllung findet am Gründonnerstag 2023 statt.
Während der Wallfahrtstage ergänzt außerdem noch eine regelmäßige Live-Performance die Installation. Bei der Performance stehen die Kleider vieler Frauen aus verschiedenen Nationen und Ländern symbolisch für die vielen Alltagsstoffe, die eine Tiefe und eine Geschichte bekommen durch die Menschen, die sie tragen – für die Vielen, die zur Heiligtumsfahrt nach Aachen kommen. Gefördert wird die Kunstinstallation "Lebenskleider" aus Mitteln des Vermögens „Katharina und Maria Wienen“ von der Stiftung „Stiftungsforum Kirche im Bistum Aachen“. Mit der Stiftung werden nachhaltig vielfältige Aufgaben im kirchlichen Bereich unterstützt. Ebenso unterstützen die Pax-Bank, das katholischen Hilfswerk Misereor, die Evangelischen Studierendengemeinde Aachen (ESG) sowie die Katholischen Hochschulgemeinde Aachen (KHG).
Entdecke mich: die Heiligtumsfahrt Aachen
Seit 1349 kommen Pilgernde, Glaubende, Suchende und Neugierige zur Heiligtumsfahrt, bei der die im Aachener Dom befindlichen Heiligtümer verehrt werden. Bei den Tuchreliquien handelt es sich der Überlieferung nach um das Kleid Marias, das sie in der Geburtsnacht getragen hat, die Windel Jesu, das Enthauptungstuch des heiligen Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu. Sie werden nur alle sieben Jahre dem Marienschrein entnommen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste der siebenjährige Rhythmus allerdings unterbrochen werden: Statt 2021 findet die Wallfahrt erst im kommenden Jahr statt vom 9. bis 19. Juni 2023.
Das biblische Leitwort für die Heiligtumsfahrt 2023 lautet „Für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15). Es ist die Frage an die Christen, wie sie Jesus als den von Gott gesandten Christus anerkennen. Ergänzt wird es durch das Motto „Entdecke mich": eine Einladung, das Wahrhaftige im Menschen und in sich selbst zu finden, Christus und den Glauben neu oder anders entdecken durch das Erlebnis der Heiligtumsfahrt.